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Auf Mattersteigs Hof vor mehr als einem halben Jahrhundert
Wie ein Bulle den Bauern mit Hörnern und Hufen misshandelte

Battaune.Viele kleine Bauerngehöfte gab es vor dem zweiten Weltkrieg in Battaune. Das Land gehörte teilweise den Bauern, war aber auch Pachtland der Forst, der Kirche und des Rates Eilenburg. Die Wirtschaften waren oft so klein, dass sie ihre Leute nicht ernährte. Die Männer gingen teilweise oder ganzjährig noch einer anderen Arbeit nach. Die meiste Arbeit in der Landwirtschaft, besonders in den kleinen Wirtschaften, oblag den Frauen und ab einem bestimmten Alter den Kindern. Vieles wurde durch ungeschriebene Gesetze und Gebräuche geregelt.
Die Entwässerungsgräben wurden von denAnliegern oder im sogenannten Hand und Spanndienst in Ordnung gehalten. Eine gemeinnützige Einrichtung war(en) auch der(die) Gemeindebulle(n): Die Gemeinde also der Ortsvorsteher oder Bürgermeister kaufte ihn von einer anerkannten Zuchtstation und legte fest, auf welchem Hof er eingestallt wurde. Natürlich im Einverständnis mit dem Bauern. Diesem Hof wurde auch die Futtergrundlage und die halbe Bullwiese zur Verfügung gestellt.
 
Battaune, das Gehöft der Mattersteigs im März 2002. Foto: W. Hahn
 
In den Kriegsjahren hatte der Hof Wilhelm Mauersteig der Ältere (heute Klaus Gabriel) einen der beiden Bullen. Die Bauern kamen mit ihrer rindrichen Kuh auf diesen Hof und ließen diese gegen einen geringen Betrag decken. Blieb der Erfolg aus, so waren die weiteren Versuche kostenlos. Es gab also eine Art Garantie. Neben seiner biologischen Aufgabe konnte der Bulle auch als Zugtier genutzt werden.
Die jungen Männer vieler Gehöfte waren in den Krieg eingezogen und die Last der Arbeit lag wieder bei den Frauen und der älteren Generation. Viele Güter hatten auch Fremdarbeiterinnen und Fremdarbeiter. In meiner Erinnerung blieben vorwiegend Leute aus der Ukraine, aus Russland, aus Frankreich und Polen.
Mauersteigs hatten eine Ukrainerin namens Baraska. Entgegen staatlicher Festlegungen hatte dieses junge Mädchen Familienanschluss und sprach die Bauersleute mit Papa und Mama an. Sie wohnte mit im Haus und aß mit am Tisch, was bei harten Strafen verboten war; die Fremdarbeiter sollten im Stall wohnen und auch dort essen. Ein solcher Fall ist mir aber in Battaune nicht bekannt.
Am 14. Februar 1945, einem relativ warmen frühlingshaften Tag, hatte Baraska das Vieh gefüttert. Beim Frühstück warnte sie den Bauern: "Papa, spann heute den Bullen nicht an, er ist schlecht." Herr Mattersteig hatte aber schon Mist geladen. Nach dem Essen spannte er den auf dem Hof noch vorhandenen gelben Ochsen vor den Mistwagen, holte den Bullen aus dem Stall und spannte ihn an und wollte ihn gemäß Zucht und Haltungsvorschrift für Zuchtbullen zusätzlich mit einer Leine am Nasenring sichern. Als der Bauer die Leine mit einem vorgeschriebenen Karabinerhaken im Nasenring befestigen wollte, stieß der Bull den etwas gehbehinderten Mann um und bearbeitete ihn wild schnaufend mit Hörnern und Hufen. Im Dorf waren keine Männer, die zur Hilfe gerufen werden konnten.
Vom gegenüber liegenden Kolonialwarenladen von Hermann Beil mit Poststelle und Telefon wurde der Krankenwagen gerufen und das Arbeitsdienstlager in Doberschütz um Hilfe gebeten. Zwei Männer vom Arbeitsdienst mit Kleinkalibergewehren kamen. Der Bulle bewachte aber noch immer sein Opfer, und die Männer trauten sich nicht zu schießen. Beherzt griff Nachbarin Erna Hennig (später Rost) ein, obwohl seit Jahren mit Mattersteigs nicht einig; in der Gefahr um das Leben ihres Nachbarn fasste sie sich ein Herz und noch mehr Mut. Sie ging auf den Hof und zog den schwer verletzten Mann in den Hausflur des Wohnhauses. Alle Anderen standen auf der Straße, auch die Arbeitsdienstmänner wahrscheinlich gerade mal 16 Jahre alt und voll überfordert mit den Gewehren. Sie schossen mit gezielten Schüssen auf den Bullen. Der brach tot zusammen. Wilhelm Mattersteig verstarb noch am gleichen Tag im Krankenhaus. Zur Beerdigung konnte sein Sohn Wilhelm jun. Kommen, musste aber danach wieder weg. Er kam1946 aus der Gefangenschaft und führte dann die Wirtschaft weiter.
Am Unglücksort seines Vaters: WilhelmMattersteig zeigt auf die Tür des damaligen Bullenstalles
 
 
Aus den Erinnerungen von Wilhelm Mattersteig und Joachim Beil im März 2002, aufgeschrieben von Joachim Beil
Quelle: Leipziger Volkszeitung